24.04.2024 | Blog
Volker Wissing und der Klimaschutz
In den vergangenen Wochen gab es mal wieder unterschiedliche Signale zum Thema Klimaschutz im Verkehr. Auch wenn auf Bundesebene die Verpflichtung zur Reduzierung von Treibhausgasen im Verkehr unverbindlicher wird, sind damit nicht die ökologischen und ökonomischen Probleme einer zukunftsfähigen Mobilitätsentwicklung gelöst. Im Gegenteil, sie werden verstärkt. Und das hat auch gravierende wirtschaftliche Folgen. Die schlimmsten Folgen sind nur zu vermeiden, wenn wir umgehend aufhören Öl, Gas und Kohle zu verbrennen.
Wegweisendes Urteil
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in einem wegweisenden Urteil der Klage Recht gegeben, nach der die Schweiz zu wenig unternimmt, um die Bürger*innen vor den Auswirkungen der Klimakatastrophe zu schützen. Aufgrund der staatlichen Schutzpflicht muss die Schweiz deshalb mehr unternehmen, um die Treibhausgase zu reduzieren.
Eines der Hauptargumente der Klägerinnen war, dass insbesondere ältere Menschen durch Hitzetod bedroht sind. In Deutschland z.B. starben nach Angaben des Robert-Koch-Institutes 2022 insgesamt 4500 Menschen an Hitzefolgen.
Androhung von Fahrverboten als Vermeidungstaktik
Dem entgegen steht die Androhung von Fahrverboten durch Verkehrsminister Volker Wissing (FDP), damit die Ampel bei der Reform des Klimaschutzgesetzes bei Verfehlungen der Sektorenziele keine sektoralen Sofortprogramme auflegen muss. Es ist zu befürchten, dass insbesondere im Verkehrssektor die notwendigen Maßnahmen hinausgezögert oder sogar überhaupt nicht angegangen werden.
Das Drohen mit Fahrverboten wird instrumentalisiert, um den Klimaschutz im Verkehr auszusetzen, anstatt ihn zu forcieren. Herr Wissing versucht so, von einem eklatanten Nichthandeln abzulenken.
Tempolimit kann helfen
Die bisherige Regelung des Klimaschutzgesetzes sollte Minister Wissing eigentlich dazu zwingen, ein Sofortprogramm vorzulegen, wenn im Verkehrssektor zu viel Treibhausgase ausgestoßen werden. Dass dies eingetreten ist, hat der Expertenrat für Klimafragen 2023 bestätigt. Nach Berechnungen des Umweltbundesamtes stößt der Verkehr 22 Millionen Tonnen CO₂ zu viel aus. Ein Tempolimit könnte helfen: Jährlich würden etwa elf Millionen Tonnen CO₂ eingespart.
Keine Zweifel mehr: Klimaschutz ist ein Menschenrecht
Wenn man sich vor Augen führt, welche Auswirkungen die Klimakatastrophe jetzt schon hat, ist dies eine unverantwortliche Politik. Klimaschutz ist Menschenschutz. Und Menschenrecht. Nimmt man diese politische Verantwortung ernst, dann müssen im Verkehr die CO₂-Emissionen dringend sinken. Wenn die Bundesregierung es mit der Klimaneutralität bis 2045 ernst meint, muss sie handeln.
Dies ist auch aus ökonomischen Gründen unerlässlich. Auch wenn Herr Wissing jetzt kein Sofortprogramm aufstellen muss, könnte dies für Deutschland noch teuer werden, wenn der Verkehrssektor weiter so klimaschädlich bleibt. Gesellschaftliche Kosten von Umweltbelastungen | Umweltbundesamt
Zweistellige Milliardenschäden
Der gerade erschienene Bericht des EU-Klimadienst Copernicus „European State of the Climate“ stellt heraus, dass insbesondere Europa noch stärker als bisher vom klimatischen Wandel bedroht ist. Schon 2023 haben Millionen Menschen unter Überschwemmungen und Hitzewellen gelitten. Die wetterbedingten Naturkatastrophen haben nach den vorläufigen Schätzungen der Wissenschaftler 2023 Schäden in Höhe von 13,4 Milliarden Euro verursacht.
Unabhängig von den Folgekosten wegen Sturmschäden, Überschwemmungen und Dürrezeiten drohen auch zusätzliche Kosten auf europäischer Ebene. Dort gibt es nämlich entsprechende Verpflichtungen. Sobald ein Staat die Verpflichtungen nicht einhält, muss er bei anderen für viel Geld Emissionsrechte einkaufen.
Die Erderhitzung hat nach einer aktuellen Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung auch massive Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und führt auch in Deutschland zu drastischen Einkommensverlusten. Es wird mit einem Schrumpfen der Weltwirtschaft etwa um ein Fünftel bis 2050 gerechnet. Dabei ist Klimaschutz günstiger, als nichts zu tun. Die Studie aus Potsdam zeigt auf, dass die zur Jahrhunderthälfte zu erwartenden Schäden sechsmal mehr kosten als Maßnahmen, die die globale Erwärmung auf zwei Grad begrenzen sollen
Eine ehrliche und konstruktive Diskussion über die Schuldenbremse sollte diese Aspekte berücksichtigen. Diese Verantwortung haben wir gegenüber unseren Kindern und Enkeln. Die wirtschaftlichen Folgen sind nicht irgendwann zu befürchten. Die Erwärmung nimmt jetzt dramatisch zu. Das bewusste Ausblenden dieser Faktoren in der politischen Diskussion ist unverantwortlich und entspricht nicht den Regeln einer demokratischen Diskurskultur.
Auto hat weiter Vorfahrt
Zudem wird mit dem Festhalten an der bisherigen Vorrangpolitik fürs Auto vernachlässigt, welchen wirtschaftlichen Wert die Förderung einer nachhaltigen Mobilitätsentwicklung nicht nur für das Klima darstellt. Der Lobbyverband „Bündnis Nachhaltige Mobilitätswirtschaft“ hat in einer aktuellen Studie präsentiert, wie groß der volkswirtschaftliche Nutzen der nachhaltigen Mobilitätswirtschaft in Deutschland sein soll: 117,6 Milliarden Euro. So viel Wertschöpfung generieren Schienenverkehr, Busverkehr, Fahrradwirtschaft, Carsharing und die Taxibranche in Deutschland. Zum Bündnis gehören die Allianz pro Schiene, der Bundesverband Carsharing, der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und Zukunft Fahrrad.
Trotz der verheerenden Klimabilanz und der zu befürchtendeen gesundheitlichen Auswirkungen sowie der ökologischen und ökonomischen Schäden verweigert der Bundesverkehrsminister eine zukunftsweisende Mobilitätspolitik. Durch Nichtstun bleibt das Problem bestehen und verschärft sich noch. Was passiert, wenn man die notwendigen Maßnahmen im Verkehrssektor noch länger hinauszögert? Dann drohen tatsächlich drastische Maßnahmen wie Fahrverbote.
Eine verantwortungsvolle Verkehrspolitik muss beim Klimaschutz nachsteuern und ein deutlich höheres Tempo vorlegen. Das Umweltbundesamt hat dazu acht Bausteine für einen klimagerechten Verkehr vorgelegt. Die einzelnen Maßnahmen zeigen auf, welche Mengen CO2 von 2024 bis 2030 eingespart werden können, wenn man sofort beginnt. Die vorgeschlagenen Maßnahmen reichen von einem Tempolimit über den Ausbau der Schiene und der Stärkung des Umweltverbundes bis zum Abbau klimaschädlicher Subventionen. Zwar würde die Klimaschutzlücke nicht in voller Höhe reduziert, aber der Verkehrssektor würde einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Klimaneutralität leisten.
Kommunen arbeiten unbeirrt an der Mobilitätswende
Aber trotz der fehlenden bundespolitischen Unterstützung der kommunalen Mobilitätswende wissen wir aus der Beratung und Begleitung unserer mittlerweile 320 Mitgliedskommunen in NRW, dass sich viele Kommunen auf den Weg gemacht haben, auch entgegen der Hindernisse, eine zukunftsfähige Mobilitätspolitik und -planung anzugehen. Denn sie wissen, dass sich die Mobilitätswende lohnt: Mehr Platz für Spaziergänge, für Radfahren und Begegnung, weniger Lärm sowie saubere Luft. Ohne Angst vor Unfällen –insbesondere von Kindern und älteren Menschen – auf die Straße zu gehen oder Rad zu fahren. Geld sparen, weil Tanken nicht nötig ist. Mehr Aufenthaltsqualität in den Innenstädten schafft auch mehr Frequenz für die Geschäfte, das ergeben immer mehr Untersuchungen übereinstimmend. Und wir schaffen Platz für Bäume in den Städten, die für die Klimaanapassung unbedingt erforderlich sind. Wir begleiten unsere Mitglieder dabei gerne.
Autor
Theo Jansen
Theo Jansen war Leiter der Geschäftsstelle und der Koordinierungsstelle Rheinland.
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